Der Zombie ist zurück! Die Vorratsdatenspeicherung soll – mit der umstrittenen biometrischen Internetfahndung – noch vor der Neuwahl in einem zweiten Sicherheitspaket beschlossen werden, so Bundesinnenministerin Faeser bei der Innenministerkonferenz.
Nancy Faeser freut sich. Die Bundesinnenministerin von der SPD sieht im Endspurt ihrer Amtszeit noch einen Sieg in Reichweite. Zum Abschluss der heutigen Innenministerkonferenz sagte sie: „Ich freue mich, dass der zweite Teil des Sicherheitspakets, der im Bundesrat aufgehalten wurde, nun jetzt noch zu Ende gebracht werden soll. Dazu gehört die Gesichts- oder Stimmerkennung von Terrorverdächtigen, Mördern, Vergewaltigern und anderen Schwerkriminellen. Biometrische Daten müssen hier zur Identifizierung mittels KI im Internet abgeglichen werden können.“ Für das Projekt ist eine umstrittene Superdatenbank aller Gesichter im Internet nötig.
Zusätzlich will Faeser kurz vor Ende der Legislaturperiode noch einen uralten Zombie aus dem Grab holen: Die Vorratsdatenspeicherung. Sie wurde in ihrer jeweiligen Ausgestaltung 2010 vom Bundesverfassungsgericht, 2014 vom Europäischen Gerichtshof und 2023 vom Bundesverwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt.
Faeser will einen neuen Versuch, im Rahmen eines erweiterten Sicherheitspakets. Zum Abschluss der Innenministerkonferenz sagte sie: „Und was für uns aber auch wichtig ist und das soll ein solches Sicherheitspaket auch umfassen, ist eine rechtssichere Speicherpflicht für IP-Adressen.“ Laut Faeser sei die IP-Adresse oft der einzige Ermittlungsansatz um Tätern auf die Spur zu kommen. Das gelte laut Faeser insbesondere im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und der Terrorismusbekämpfung.
Aus für Quick Freeze
Die Erweiterung des Sicherheitspakets geht laut Faeser nun in den Vermittlungsausschuss. „Ich freue mich über das einheitliche Votum der Konferenz, das noch in dieser Legislaturperiode jetzt im Bund abzuschließen“, sagt sie.
Das Vorgehen zeigt auch, dass von der Ampel nichts bleibt. Denn die hatte eigentlich statt der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ein anlassgebundenes Quick-Freeze-Verfahren für zu sichernde Daten einführen wollen. Nun positionieren sich Faeser und mit ihr die SPD klar zum möglichen kommenden Koalitionspartner CDU. Und die zieht mit, auf jeden Fall wenn es um die Vorratsdatenspeicherung geht. Es zeichnet sich ab, dass es eine schwarz-rote Mehrheit für eine allgemeine anlasslose Vorratsdatenspeicherung gibt.
Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister und der Sprecher der Innenminister von CDU und CSU, sagte zum Abschluss der Innenministerkonferenz: „Dankbar bin ich, dass wir nunmehr den Spielraum genutzt haben, der sich für wesentliche Schritte zu mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden geöffnet hat, unter anderem für die Verkehrsdatenspeicherung und angemessene Mindestspeicherfristen von IP-Adressen.“
SPD und CDU/CSU: die neue Instantkoalition
Sein SPD-Pendant Andy Grote, Hamburgs Innensenator und Sprecher der Innenminister der SPD, fordert ebenfalls mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. „Dazu gehört die Speicherung von IP-Adressen und die Möglichkeit zum biometrischen Datenabgleich mit im Internet frei zugänglichen Dateien zur leichteren Identifizierung von schweren Straftätern und Terroristen. Das gilt es jetzt noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen.“
Die neue Instantkoalition zeichnet sich auch im Bundestag ab. Dort wurde gestern über drei verschiedene Gesetzentwürfe zum Speicherung von IP-Adressen beraten. Einer kommt von der CDU/CSU.
Den Christdemokraten zufolge sollen die Provider drei Monate lang speichern müssen, welche Person sich wann mit welcher IP-Adresse im Netz bewegt – und soweit nötig auch die Port-Nummern, die anzeigen, wer wann welchen Dienst genutzt hat, also beispielsweise Mail, Filetransfer, Browser, Chatprogramm. Zudem soll die Funkzellenabfrage erleichtert werden, die Christdemokraten wollen die Bedingung streichen, dass die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.
Auch zur Verfolgung weniger schwerer Verbrechen
Laut Begründung des CDU/CSU-Entwurfs soll auf die gespeicherten Daten ohne Gerichtsbeschluss zugegriffen werden dürfen, auch zum Zwecke der Verfolgung „allgemeiner (nicht schwerer) Kriminalität“. Nur bevor sie mit Inhaltsdaten verknüpft werden, brauche es einen Gerichtsbeschluss. Auch Nachrichtendienste sollen nach dem Willen der CDU auf die Informationen zugreifen dürfen.
Ein weiterer Vorratsdatenspeicherungs-Gesetzentwurf kommt aus dem Bundesrat, initiiert von CDU-geführten Hessen. Der Entwurf ist in weiten Teilen wortgleich mit dem der CDU/CSU im Bundestag, nur dass die Forderung der Länder sich auf eine Vorratsdatenspeicherung von einem Monat Dauer beschränkt. Laut Europäischem Gerichtshof muss eine allgemeine IP-Adressspeicherung auf den absolut notwendigen Zeitraum beschränkt sein.
Der Entwurf des Bundesrates besagt zudem, es müsse „zur Verfolgung allgemeiner Kriminalität und zum Schutz der öffentlichen Sicherheit auch weiterhin möglich sein, dass Internetzugangsdienste mindestgespeicherte IP-Adressen für eine Bestandsdatenauskunft anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse verwenden dürfen, um den Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden die Identitätsdaten des relevanten Anschlussinhabers zu übermitteln.
Generalverdacht vs. datensparsame Alternative
Die Entwürfe stellen einen Generalverdacht gegenüber allen Bürger*innen auf, deren Daten präventiv und anlasslos gespeichert werden sollen. Beide Gesetzentwürfe fordern die Vorratsdatenspeicherung zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Kriminalität sowie zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit, wollen gleichzeitig aber auch die Möglichkeiten zur Verfolgung weniger schwerer Delikte erweitern. Es wurden in der Vergangenheit auch schon Stimmen laut, die eine Nutzung der Daten zur Verfolgung von Einbrüchen oder Hasskommentaren forderten. Klar ist auch: wenn die Daten einmal vorliegen, werden die Begehrlichkeiten immer größer.
Ein dritter Gesetzentwurf stammt von der FDP und fordert ein datensparsameres Verfahren, eine anlassbezogene, richterlich angeordnete Sicherstellung ausgewählter bestehender und künftig anfallender Daten. Dieses „Quick Freeze“ genannte Verfahren, auf das sich die Ampel eigentlich geeinigt hatte und dem auch die Grünen immer noch anhängen, scheint nun endgültig vom Tisch zu sein. Zu einig sind sich Christ- und Sozialdemokraten in ihrem Wunsch nach mehr verdachtsunabhängiger Überwachung.
Aktuell speichern die Internetprovider freiwillig bis zu sieben Tage, welcher Anschluss wann mit welcher IP-Adresse surft, Mails schreibt, Dateien tauscht. Das ist, glaubt man Boris Rhein, viel zu kurz. Der hessische CDU-Ministerpräsident eröffnet die Bundestagsdebatte mit dem Verweis auf Verfahren zu sexualisierter Gewalt an Kindern, die nicht bearbeitet werden könnten, weil die Zuordnung der IP-Adressen scheiterte: „Kinderschänder haben kein Recht auf Privatsphäre“, sagt er. Geht es nach Rhein sollten alle IP-Adressen längerfristig mit Klarnamen verbunden werden. Demnach hätte dann niemand ein Recht auf Privatsphäre.
Vorratsdatenspeicherung: Nicht mehr ob, sondern nur noch wie
Sebastian Fiedler SPD steigt ebenfalls mit Horrorbildern von sexualisierter Gewalt gegen Kinder ein. Schlussfolgernd sagt er: „Jetzt können wir darüber diskutieren, ob drei Monate Mindestspeicherfrist oder ein Monat, entscheidend für mich und meine Fraktion ist: Wir kriegen endlich etwas gemeinsam hin.“
Seine Parteigenossin Peggy Schierenbeck sagt, die Sicherheitsbehörden bräuchten effektive und zeitgemäße Instrumente zur Bekämpfung von zum Beispiel „schwerster Kriminalität wie Kindesmissbrauch, Terrorismus, Extremismus, Cyberangriffen, Organisierter Kriminalität, Hasskriminalität, Betrugsdelikten im Internet und und und.“ Es ginge nicht um das ob, sondern um das wie. „Wir wollen eine IP-Adressen-Speicherung und werden prüfen, wie wir diese am besten umsetzen können.“ Quick Freeze allein sei keine sinnvolle Alternative.
Thorsten Lieb von der FDP erinnert die Sozialdemokraten, „dass wir die Anlassbezogenheit entsprechender Maßnahmen im Koalitionsvertrag vereinbart hatten.“ Die Vorratsdatenspeicherung sei nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nur in eng umgrenzten Fällen zulässig. Sein Parteikollege Manuel Höferlin sagt, seit anderthalb Jahrzehnten führe man die gleiche Debatte mit immer gleichem Ergebnis: der Rechtswidrigkeit. „Und doch steht ein Vorschlag im Raum, der in die Sackgassen der Vergangenheit zurückführt.“ Nur Quick Freeze sei grund- und europarechtskonform.
Wie man die Vorratsdatenspeicherung umgeht
Helge Limburg von den Grünen wirft den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung vor, für ihr Projekt schlimmste Straftaten ins Feld zu führen, „ohne jegliche Abwägung mit anderen Rechtsgütern“ und damit Gegner zu diffamieren und zu diskreditieren. Er vermisse Anträge zur Prävention und zur Stärkung von Kindern und sieht bei der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt an Minderjährigen einen ausschließlichen Fokus auf die Vorratsdatenspeicherung. Sein Parteifreund Marcel Emmerich erinnert daran, dass auch der Kinderschutzbund für das rechtssichere Quick-Freeze-Verfahren und gegen die Vorratsdatenspeicherung ist. Die „gefährdet das Vertrauen in staatliche Institutionen und das ist gerade in diesen Zeiten brandgefährlich.“
Anke Domscheit-Berg von der Linkspartei bringt als letzte Rednerin das Argument, welches eigentlich die ganze Debatte zusammenbrechen lässt: „Schwerkriminelle wissen, wie man eine IP-Adresse verschleiert“, sagt sie. Denn mit der Nutzung eines VPN oder des Tor-Netzwerks oder gar einer Kombination aus beidem lässt sich die im Netz genutzte IP-Adresse mit überschaubarem Aufwand sehr sicher anonymisieren. Domscheit-Berg gibt den Abgeordneten auch noch eine Lektion mit auf den Weg: „Demokratie und Massenüberwachung passen nicht zusammen“.
Die Beratungen zur Vorratsdatenspeicherung sind in den Rechtsausschuss überwiesen. So wie das im Bundestag klingt scheint nur noch die Frage der Dauer der verpflichtenden Speicherung offen zu sein. Bis zum nächsten Gerichtsurteil jedenfalls.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Netzpolitik.org. unter CC BY-NC-SA 4.0.
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