Angehörige im Budapest-Komplex: „Aus jungen Antifaschist:innen werden Terrorist:innen gemacht“

Am 20. Januar sind bundesweit Antifaschist:innen, nach denen im Rahmen des Budapest-Komplexes gefahndet wurde, aufgetaucht und haben sich den Behörden gestellt. Perspektive Online hat mit Anton Borsutzky von der Solidaritätsgruppe family and friends und der Mutter einer Inhaftierten darüber gesprochen, wie es den Inhaftierten geht und was in der nächsten Zeit geplant ist.

Wie geht es den inhaftierten Antifaschist:innen aktuell?

Anton: Die Bedingungen, unter denen die Aufgetauchten sitzen, variieren von JVA zu JVA. Das meiste kann man in den Veröffentlichungen auf den jeweiligen Webseiten nachlesen. Dort steht allerdings nichts von besonderen Maßnahmen, beispielsweise wie häufig Zellenrazzien stattfinden, dass tagelang 24 Stunden Licht brennt, oder wie schnell die Post ausgehändigt wird. Soweit wir wissen, sind alle Inhaftierten körperlich unversehrt.

Wie schätzt ihr das Vorgehen der deutschen und ungarischen Behörden gerade ein?

Anton: Das Vorgehen der ungarischen Behörden erscheint uns politisch motiviert. Das angedrohte Strafmaß gegenüber der in Ungarn inhaftierten Maja stellt mit 24 Jahren eine Strafe dar, die es in Deutschland gar nicht gibt. 24 Jahre entsprechen der bisherigen Lebenszeit der jungen Antfaschist:in.

Das Vorgehen der deutschen Behörden ist sehr repressiv. Nicht nur gegen die Beschuldigten selbst, sondern auch gegen ihre Familien und ihr Umfeld. Die Anklagen und geforderten Strafmaße sind überzogen – aus jungen Antifaschist:innen werden Terrorist:innen gemacht.

Die Auslieferung der oben erwähnten Maja war nicht rechtmäßig, wie am 6. Februar das Bundesverfassungsgericht entschied. Zur Begründung verwies es auf das Verbot unmenschlicher Behandlung, das in der EU-Grundrechtscharta festgeschrieben ist. In Italien wurde bereits ein Beschuldigter nicht an Ungarn ausgeliefert und aus der Haft entlassen. Den deutschen Verfolgungsbehörden sind diese Verhältnisse in Ungarn bekannt, de facto benutzen sie aber das durch Ungarn angedrohte Strafmaß und die dortigen Haftbedingungen als Druckmittel.

Die jungen Antifaschist:innen, die sich gestellt haben, sind weiter von Auslieferung bedroht. Allerdings hoffen wir, dass das ergangene Urteil vom Bundesverfassungsgericht eine Signalwirkung auf die Entscheidungen zur Auslieferung von Allen hat. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft natürlich erst mal nur Maja, aber wir gehen davon aus, dass die zukünftig über Auslieferung entscheidenden Instanzen sich nur schwer darüber hinwegsetzen können.

Was macht die aktuelle Situation mit den Familien?

Mutter: Wir sind sehr erleichtert, dass das Sich-Stellen so geklappt hat, wie die jungen Menschen es sich vorgestellt haben. Sie sind respektvoll behandelt worden auf den Polizeidienststellen. Die Sorge, dass sie irgendwann mit Gewalt festgenommen werden, haben wir nun nicht mehr. Allerdings bleibt die Sorge, dass alle oder einzelne nach Ungarn ausgeliefert werden. Die Anspannung ist nach wie vor hoch.

Zudem gibt es einige, die noch nicht aufgetaucht sind. Auch für diese muss es eine Garantie geben, dass niemand in das autokratische Ungarn ausgeliefert wird, egal welche Staatsangehörigkeit eine Person hat. Und natürlich freuen wir uns, dass wir unsere Kinder in naher Zukunft sehen können, sie nach zwei Jahren vielleicht sogar in die Arme schließen werden.

Wer ist in der Soli-Gruppe zusammengeschlossen und was sind eure Forderungen?

Anton: In family & friends Hamburg sind die Eltern einer aufgetauchten und inhaftierten jungen Frau und langjährige Freund:innen und Genoss:innen versammelt. Die meisten kennen die junge Antifaschistin seit ihrer Kindheit. Die aktuelle Hauptforderung ist:

Keine Auslieferungen nach Ungarn! Ansonsten fordern wir: Maja zurück nach Deutschland! Keine Kriminalisierung von Antifaschist:innen! Antifaschismus ist notwendig!

Was sind die nächsten Schritte in der Solidaritätsarbeit und wie kann diese unterstützt werden?

Anton: Wir organisieren am 12. Februar um 19 Uhr eine große Veranstaltung im Ballsaal des FC St. Pauli, in der über den Stand des gesamten Komplexes bzw. den Stand des Verfahrens aller Gefangener und den diesjährigen „Tag der Ehre” in Budapest berichtet wird.

Wir unterstützen Gefangene in der Haft, schreiben Briefe und organisieren Knast-Kundgebungen.

In der Auseinandersetzung um die Auslieferung und Kriminalisierung der jungen Antifaschist:innen geht es nicht nur um die individuelle Freiheit der Gefangenen. Diese Auseinandersetzung ist ein wichtiger Teil des Kampfes gegen Rechts. In diesem Sinne kann die Solidaritätsarbeit am besten dadurch unterstützt werden, indem mensch sich an Aktionen gegen Rechts beteiligt.

Wer finanzielle Hilfe leisten will, kann Geld an die Rote Hilfe e.V. spenden. Die Rote Hilfe ist eine Solidaritätsorganisation, die politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum unterstützt. Eine weitere Möglichkeit der Unterstützung ist die Unterzeichnung der Petition „Keine Auslieferung nach Ungarn!“

Von den Medien wünschen wir uns, dass sie über die Gefahr, die von Organisationen der extremen Rechten ausgeht, berichten. Der „Tag der Ehre“ in Budapest ist ein Groß- und Vernetzungstreffen solcher Organisationen.

Zuerst veröffentlicht auf Perspektive Online.

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