Nach jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Politik und Zivilgesellschaft in der selbsternannten Nachhaltigkeitshauptstadt Deutschlands steht die Rodung des Dietenbachwaldes kurz bevor, um Betonwüsten Platz zu machen. Die Waldbesetzer:innen der Gruppe „Dieti bleibt!“ wollen sich nicht kampflos geschlagen geben.
Der Umweltschutz hat Tradition in Freiburg. Die Stadt gilt als die grünste, ökologischste und fahrradfreundlichste Großsstadt des Landes. Im Jahr 2012 wurde Freiburg mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis als „nachhaltigste Großstadt Deutschlands“ ausgezeichnet. Seit 2008 vermarktet sie sich mit dem Titel „Green City“ und will so zum Vorreiter eines urbanen, sozialökologischen Lebenstils avanchieren. Bereits 2035 will die Stadt klimaneutral sein.
Wie passt das mit der geplanten Rodung des Dietenbachwaldes im Westen der Stadt zusammen? Gar nicht.
So sieht es zumindest das Aktionsbündnis „Hände weg vom Dietenbachwald“. Zahlreiche Organisationen, darunter Bürger:innenvereine, NABU, BUND und Parents for Future, kämpfen seit langem gegen die Abholzung des Waldes. Dabei richtet sich ihr Protest ausdrücklich nicht gegen den neuen Stadtteil, sondern für den Erhalt des Waldes. „Sozialer Wohnungsbau und Walderhalt gehen zusammen und sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden“, so das Bündnis.
Das sind die Pläne der Stadt
Um der Wohnraumknappheit und den immer weiter steigenden Mieten entgegenzuwirken, will die Stadt Freiburg 6900 neue Wohnungen für etwa 16.000 Menschen bauen. Auf einer Flächte von 152 Hektar soll ein „klimafreundlicher, bunter und sozialer Stadtteil für alle“ entstehen, mit 22 neuen Kitas, zusätzlichen Straßenbahnhaltestellen und Konsummöglichkeiten.
Vier Hektar Wald, nicht einmal drei Prozent der Fläche, sollen für diese Pläne geopfert werden. „Hände weg vom Dietenbachwald“ findet, dass die Errichtung des neuen Stadtteils auch ohne die geplanten großflächigen Rodungen möglich ist. Doch sowohl unermüdliche Öffentlichkeitsarbeit als auch ins Leben gerufenene Petitionen und Gerichtsprozesse blieben erfolglos.
Um aus der strategischen Defensive zu gelangen und ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, ging ein radikalerer Teil der Aktivist:innen, die die Rodungen nicht hinnehmen wollen und die geplante Bebauung explizit ablehnen, zu neuen Protestformen über. Im Juni 2021 besetzten sie, analog zu den teils militant verteidigten Waldbesetzungen im Hambacher Wald („Hambi“) und Dannenröder Wald („Danni“), einen Teil des Dietenbachwalds. Der Name „Dieti“ war geboren.
Die Waldbesetzer:innen von „Dieti bleibt“ wollen in ihrer Praxis keine Symptombekämpfung betreiben, sondern ran an die Wurzel des Übels: Sie sehen die Ursachen für Rodungen, Artensterben, Bodenversiegelung und Ressourcenverschwendung in der kapitalistischen Wirtschaftsweise unserer Gesellschaft. Besonders haben sie die die umweltschädliche Bilanz der Unternehmen in der Bauindustrie hervor, die für 10 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind – und damit mehr als der weltweite Flugverkehr.
Lustvolle Rebellion
„Hier wo das Leben lustvoll rebelliert können wir queere Freiräume erschaffen und solidarisch leben“, heißt es. Im Kampf für eine soziale, egalitäre und ökologische Welt verbinden sie Kapitalismuskritik mit alternativen Lebensweisen – und wollen so eine angesichts staatlicher Übermacht zum Scheitern verurteilte Utopie, wenn auch nur für eine bestimmte Zeit, im Hier und Jetzt Wirklichkeit werden lassen.
Wir schaffen einen Ort des Widerstandes! Einen Ort, an dem Utopien gelebt werden dürfen, wo Gemeinschaft statt Konkurrenz im Vordergrund steht und wo über Politik von links und unten diskutiert wird. – Initiative „Dieti bleibt„
Doch die Stadt Freiburg macht Ernst. Erst beschloss der Gemeinderat am 26. November mehrheitlich einem ersten Bebauungsplan für 1600 Wohneinheiten zu. Kurz darauf erließ die Stadt per Allgemeinverfügung ein Vertretungsverbot für das Rodungsgebiet, das ab Samstag, 7. Dezember, gelten soll. Heißt: Die Besetzer:innen sind aufgerufen, ihre Stellungen bis zum Ablauf des 6. Dezember zu räumen und das Geläde zu verlassen.
Doch es scheint nicht danach auszusehen, dass die Aktivist:innen vorzeitig die Segel streichen. Auf ihren Kanälen rufen sie die Öffentlichkeit zur Teilnahme an Solidaritätsaktionen auf. So ist für Donnerstag, 5. Dezember, ab 19 Uhr eine Demonstration geplant.
Dass die Stadt Freiburg und die Polizei zudem nicht davon ausgehen können, dass die Besetzer:innen kampflos das Feld räumen werden, beweist das „Räumungsheft“ der Gruppe, veröffentlicht im Netz. Darin sind ausführliche Informationen zu finden, wie man sich im Vorraus in sogenannten Bezugsgruppen organisiert, wie die Polizei bei der Durchsetzung des Räumungsbefehls voraussichtlich vorgehen wird, wie man sich vor, während und nach Auseinandersetzungen mit der Polizei verhält, was im Falle einer Verhaftung zu beachten ist, und wie man sich solidarisch mit Genoss:innen zeigt.
Wir haben es nicht immer in der Hand, was mit uns passiert, noch weniger, was anderen geschieht – umso wichtiger, dass wir gut für uns sorgen, um Herausforderungen gut gewappnet begegnen zu können. Deine inneren Möglichkeiten, deine innere Freiheit kann dir niemand nehmen und trotzdem sind wir erschütterbar. Sorge gut für dich und denke daran: Wir sind viele, du bist nicht allein! – Initiative „Dieti bleibt„
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