Tausende demonstrieren für das Recht auf Abtreibung in Karlsruhe

Mehrere tausend Menschen haben am Samstag in Karlsruhe für die Legalisierung von Abtreibung demonstriert. Feministische Kämpfe gegen reaktionäre Entscheidungen von Verfassungsgericht und Bundestag haben Tradition in dieser Stadt.

„Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ So lautet der erste Absatz des Paragraf 218 im Strafgesetzbuch (StGB).

Zwar sind Abtreibungen – wie auch die Durchführung und die Werbung dafür – in Deutschland bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei, aber laut geltendem Gesetz rechtswidrig und somit illegal.

Um den Protest der organisierten feministischen Bewegung gegen dieses Gesetz auf die Straße zu tragen und sich für das Recht auf Abtreibung einzusetzen, kamen am Samstag mehr als 2500 Teilnehmer:innen zu einer Demonstration unter dem Motto „Abtreibung legalisieren – Jetzt!“ in Karlsruhe zusammen. Organisiert wurde die Demo vom „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“.

Das sind die Forderungen der Organisatoren

  • Abschaffung des Paragrafen 218 StGB: Der Paragraph im Strafgesetz, der Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert, soll gestrichen werden.
  • Medizinische Versorgungslage: Wir brauchen mehr Praxen und Kliniken, die Abbrüche durchführen. Staatliche Krankenhäuser müssen eine Angebotspflicht und kein Weigerungsrecht haben.
  • Ausbildung: Verpflichtende Aus-, Fort- und Weiterbildung für Ärzt*innen und medizinisches Fachpersonal im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs.
  • Beratungsrecht: Schwangere brauchen ein Recht auf Beratung, anstatt zu einer Beratung verpflichtet zu sein.
  • Wartefrist: Die dreitägige Wartefrist soll abgeschafft werden.
  • Kostenübernahme: Die Kosten für den Schwangerschaftsabbruch sollen – wie bei jedem anderen medizinischen Eingriff – durch die Krankenkassen übernommen werden. 
  • Vertrauen: Ungewollt Schwangeren zutrauen, dass sie die richtige Entscheidung treffen

Auftakt der Veranstaltung war eine Kundgebung, die um 13 Uhr auf dem Kronenplatz begann. Im Anschluss bewegte sich der Demonstrationszug über die Kaiserstraße zum Bundesverfassungsgericht, wo eine weitere Kundgebung stattfand. Die Demonstration verlief größtenteils ruhig. Lediglich einzelne Pyrofackeln wurden zwischenzeitlich gezündet.

Neben Berlin, wo ebenfalls tausende Menschen für die Legalisierung von Abtreibungen auf die Straße gingen, war Karlsruhe an diesem Tag somit Hauptschauplatz der feministischen Protestbewegung in Deutschland.

Und das nicht zum ersten Mal.

Historische Parallelität feministischer Kämpfe in Karlsruhe

Vor fast fünfzig Jahren, am Vormittag des 25. Februar 1975, sichern hunderte Polizisten das Gelände um das Bundesverfassungsgericht, um es vor wütenden Demonstranten zu schützen. Das höchste deutsche Gericht soll gegen 11 Uhr sein Urteil über die Reform des Abtreibungsrechts verkünden, doch die Entscheidung ist schon im Vorraus an die Öffentlichkeit durchgesickert. Die Stimmung ist gereizt.

Das Gericht kippt die vom Deutschen Bundestag von SPD und FDP im Jahr zuvor beschlossene Reform des Abtreibungsrechts, die eine Fristenlösung vorsah, also Straffreiheit in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen.

Die Polizeikette hält dem Druck der aufgebrachten Menge an diesem Tag stand. Doch gut eine Woche später entläd sich der Protest gegen dieses Urteil in einem Sprengstoffanschlag auf das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts. In einem Bekennerschreiben bekennt sich eine Frauengruppe der linksextremistischen Revolutionären Zellen zu der Aktion. Die Gruppe begründete den Anschlag mit dem Kampf der Frauenbewegung, gab sich fortan den Namen Rote Zora und trat ab diesem Zeitpunkt als eigenständige Organisation auf.

Im Jahr 1976 kam der Bundestag der Entscheidung des Gerichts nach und verschärfte den Paragraf 218 wieder. Die Fristenlösung wird getrichen. Und dabei blieb es auch – für die nächsten zwanzig Jahre.

Erst mit dem Mauerfall entflammt 1990 die gesellschaftliche Diskussion um Paragraf 218 wieder. Denn in der DDR hatte seit 1972 genau jene Fristenregelung gegolten, wie sie in der BRD drei Jahre später gekippt wurde – also Straffreiheit in den ersten zwölf Wochen.

1992 schließlich beschließt der gesamtdeutsche Bundestag eine Kombination aus Fristen- und Beratungslösung. Heißt: Nach einer fachärztlichen Beratung bleibt eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft nicht nur straffrei, sondern auch nicht verboten. Der Schwangerschaftsabbruch ist also legalisiert. Außerdem übernehmen die Krankenkassen von nun an auch die Kosten des Eingriffs.

Reaktionäre Entscheidungen

Doch auch diesen Beschluss kippt das Verfassungsgericht in Karlsruhe und erklärt ihn für verfassungswidrig. Die Richter begründen ihre Entscheidung damit, dass der Staat ungeborenes Leben schützen müsse und Schwangere somit grundsätzlich verpflichtet seien, das Kind auszutragen. Zwar bleiben Frauen – sofern sie sich beraten lassen und eine mehrtägige „Überlegungsfrist“ einhalten – nach einem Abbruch straffrei, doch mit diesem Gerichtsurteil sind Abtreibungen wieder gegen das Gesetz. Deshalb wird auch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen gestrichen.

Diese Regelung gilt bis heute.

Aus diesem Grund hatte das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ am 7. Dezember zum Aktionstag für die Abschaffung des Paragrafen 218 aufgerufen und die Demonstrationen in Berlin und Karlsruhe – als Sitz der Legislative und der Judikative -organisiert. In Karlsruhe waren zudem unter anderem die Partei Die Linke, die Organisation Pro Familie und die Gewerkschaft Verdi vertreten.

Bei der Zwischenkundgebung vor dem Bundesverfassungsgericht hielt die Ärztin Kristina Hänel eine Rede und unterstrich die Forderung nach der Streichung des Paragrafen. Hänel wurde 2018 vom Landgericht Gießen wegen Werbens für Schwangerschaftsabbrüche verurteilt. Sie hatte auf der Website ihrer Praxis angegeben, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.


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