Das treibende Thema der Jugendbewegung in Deutschland ist nicht länger die Klimakrise – mittlerweile konzentrieren sich die Aktivitäten der jungen Gruppen auf organisierten Widerstand gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft. Weil sie davon am meisten davon betroffen sind, sagen sie der Regierung wegen ihrer Pläne zur Wehrpflicht und ähnlichen Pflichtdiensten den Kampf an.
„Wir wollen nicht ein halbes Jahr unseres Lebens in Kasernen eingesperrt sein, zu Drill und Gehorsam erzogen werden und töten lernen“, heißt es auf der zentralen Homepage des Bündnisses. „Krieg ist keine Zukunftsperspektive und zerstört unsere Lebensgrundlage.“
In mehr als 90 Städten haben sich bundesweit tausende SchülerInnen am Freitag dem Unterricht verweigert. Im Südwesten hat sich mindestens ein Dutzend Städte beteiligt, darunter Stuttgart, Karlsruhe, Heidelberg, Tübingen und Freiburg. Auch viele kleinere Städte wie Offenburg, Heilbronn, Radolfzell oder Reutlingen waren dabei.
Was der Bundestag beschlossen hat
Der Deutsche Bundestag hat am Freitag ein Gesetz zum neuen Wehrdienst als wohl ersten Schritt zur neuen Wehrpflicht beschlossen. Vorgesehen ist eine massive Aufstockung der Streitkräfte – noch auf freiwilliger Basis. Melden sich zu wenig Jugendliche, kann bei einem weiteren Beschluss eine „Bedarfswehrpflicht“ greifen. Der Bundesrat muss dem Vorhaben am 19. Dezember noch zustimmen, sodass das Gesetz ab Januar 2026 in Kraft tritt. Die frühere Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt, jedoch nie ganz aus dem Grundgesetz gestrichen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach von einem „entscheidenden Schritt für die Verteidigungsfähigkeit“. Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Am Ende zeigt sich der SPD-Politiker zufrieden: „Dieses Land, diese Demokratie verdient es.“ Junge Soldaten will er mit monatlich 2600 Euro brutto und „in bestimmten Fällen“ mit einem Zuschuss zum Pkw- oder Lkw-Führerschein locken.
Verweigerern droht eine Geldstrafe
Im kommenden Jahr müssen demnach alle männlichen Jugendlichen ab Jahrgang 2008 schriftlich bekunden, ob sie bereit für einen Pflichtdienst bei der Bundeswehr sind. Beantworten sie das Schreiben der Bundeswehr nicht, nicht vollständig oder verspätet, droht ihnen eine Geldstrafe wegen Ordnungswidrigkeit. Ab 2027 sollen junge Männer bei Volljährigkeit dann laut beschlossenem Gesetz verpflichtend zur Musterung erscheinen.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Desiree Becker, kritisierte, junge Menschen hätten „anderes vor, als im Regiment Merz für das Kapital der Reichen den Kopf hinzuhalten“. Der Linken-Parteivorsitzende Jan van Aken unterstützte die SchülerInnenproteste. Offenbar sieht er großes Potenzial an politischen Widerstandswillen bei den Jugendlichen, denn er meint, dass sich „bei den Schulstreiks gegen den Pflichtdienst gerade etwas richtig Kraftvolles entwickelt“.
Breiten Rückhalt aus der Gesellschaft
Der „Frankfurter Rundschau“ sagte er: „Die jungen Leute haben die Nase voll – und das völlig zu Recht! Erst vernachlässigt man sie: marode Schulen, zu wenig Ausbildungsplätze und Mieten, die ein selbstständiges Leben unmöglich machen. Und jetzt will man sie auch noch zur Musterung schicken und notfalls in Uniform stecken. Warum soll ich ein Land verteidigen, das sich einen Dreck um meine Zukunft schert? Warum ist plötzlich Geld für Panzer da, aber nie für gute Bildung?“

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) steht als mitgliederstärkste Bildungsgewerkschaft hinter den Protesten und solidarisiert sich mit den Aktionen der SchülerInnen gegen die Zwangsmusterung. Wenn sich Schüler und Schülerinnen aktiv für ihre eigenen Interessen einsetzten und kritische Fragen zu einem Gesetz stellten, das großen Einfluss auf ihre persönliche Lebensplanung habe sei das ein ermutigendes Zeichen für die Demokratie, sagte die bayerische GEW-Landesvorsitzende Martina Borgendale.
Gewerkschaften zeigen sich solidarisch
Auch die Hamburger Landesbezirksvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi unterstützt die Proteste gegen die Wehrpflicht: „Als Gewerkschaft, die auch die Bundeswehr vertritt, ist uns wichtig, dass die Bedingungen in der Bundeswehr so verbessert werden, dass Menschen freiwillig dort hin gehen und nicht gezwungen werden.“
Die Protestaktionen sind dezentral organisiert. Auf ihrer Website stellt die Initiative Schulstreik gegen Wehrpflicht Infomaterial zur Verfügung, um Schülergruppen zu ermöglichen, selbst eine Protestaktion an ihrer Schule zu organisieren, dazu Flyer, Plakate, Briefvorlagen an Schulleitung und Eltern. Auch praktische Hinweise sind zu lesen: „Organisiert Treffen in Pausen oder nach der Schule & plant gemeinsam weitere Schritte. Sucht euch Unterstützung: GEW-Lehrer_innen, Eltern, Friedensgruppen, linke Jugendorganisationen etc. Macht kreative Aktionen. Malt Banner, Sticker etc.“
„Sondervermögen von 500 Milliarden kann man sinvoller einsetzen“
Im Gespräch mit Radio Dreyeckland schildert ein Mitglied die Beweggründe des Freiburger Streikkomitees. Die Schulstreiks seien „eines der wenigen Mittel, die wir nutzen können, um als SchülerInnen politische Beteiligung bei diesem Thema zu erzwingen.“ Andere Möglichkeiten der Partizipation seien unmöglich. „Wir können nicht wählen, wir können nicht in Betrieben streiken. Deshalb bleibt uns nur noch der Schultstreik.“
„Die Wehrpflicht soll wieder eingeführt werden. Zunächst als „freiwilliger Wehrdienst“, doch schon jetzt steht fest: Wenn sich nicht genug von uns melden, soll erst das Los entscheiden und dann kommt die Pflicht für alle. Es heißt, wir sollen für Deutschland Krieg führen können.“ Der Aktivist wirft die Frage auf, inwiefern Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes, nach dem niemand zum Dienst an der Waffe gezwungen werden darf, unter Beschuss steht.
Wie kann man mitmachen?
Ziel des neugegründeten Freiburger Bündnisses sei es, auch nach dem Schulreik aktiv zu bleiben und gemeinsame Aktionen durchzuführen. Man wolle die Bewegung gegen die Wehrpflicht weiter zu vernetzen, so der Sprecher. Zu den offenen Treffen seien SchülerInnen, aber auch StudentInnen und ArbeiterInnen willkommen.
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