Mit dem Ende der Ampelkoalition und den anstehenden Neuwahlen Ende Februar 2025 ist die Phase des offenen Wahlkampfs eröffnet. Dabei versuchen die unterschiedlichen Parteien, sich voneinander abzuheben und entsprechend zu profilieren.
Bei den vergangenen Landtagswahlen in diesem Jahr hat es dabei die Alternative für Deutschland (AfD) geschafft, sich erfolgreich als eben solche „Alternative“ zu den anderen bürgerlichen Parteien darzustellen. Wichtige Punkte sind hier neben der Ablehnung von Migration nach Deutschland und einem Nein zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine vollmundige Versprechen, vorgeblich Antworten auf die im Zuge der kapitalistischen Krise wachsenden Zukunftsängste zu haben.
Grund genug, sich die Vorschläge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD anzuschauen, die sie in ihrem Entwurf für ein Wahlprogramm herausgearbeitet hat. Es soll auf dem kommenden Bundesparteitag im Januar 2025 in Riesa verabschiedet werden.
Mehr Leistungsdruck und weniger soziale Absicherung
Zentrales Element der „Sozial“-Politik der AfD soll eine „Rückkehr zum Leistungsprinzip“ sein. In den Schulen müsse Leistung wieder gefördert und belohnt werden, es bräuchte einen nahtlosen Übergang in das Berufsleben, weniger Teilzeit und – in klassischer Manier rassistischer Hetze – weniger Zuwanderung, die das Sozialsystem nur belaste und gleichzeitig „guten Deutschen“ die Jobs weg nähme.
Zusätzlich will die AfD die Arbeitslosenversicherung massiv beschneiden. Demnach soll diese nur greifen, wenn man selbst „keine Schuld“ an seiner Arbeitslosigkeit trage und zuvor mindestens drei Jahre berufstätig war. Die jetzige Regelung sieht ein Jahr Berufstätigkeit und im Falle einer eigenen Kündigung eine Sperre von drei Monaten vor. Auch soll die Dauer des Bezugs auf ein halbes Jahr beschränkt werden – aktuell ist es ein Jahr – und sich für je zwei Arbeitsjahre um einen Monat verlängern.
Das Problem daran? Dies würde den Kapitalist:innen ungeahnte Möglichkeiten eröffnen, deutlich mehr Druck auf uns während der Arbeit auszuüben, da sie jederzeit mit dem Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit drohen können.
In Bezug auf das aktuelle Bürgergeld schürt die AfD klassische chauvinistische Hetze und will es mehr oder weniger komplett abschaffen. Stattdessen soll es nach sechs Monaten „Grundsicherung“ eine Arbeitspflicht geben, Geflüchtete sollen quasi komplett nur noch nach den deutlich niedrigeren Asylbewerberleistungen versorgt werden, und parallel sollen mehr Kontrolle, Zwang und Überwachung geschaffen werden. Anstatt das Geld bei den Reichen zu holen, führt sie also das Spiel von „teile und herrsche“ stellvertretend für diese Gruppe aus: man hetzt arbeitende Menschen gegen Bürgergeld-Empfänger:innen und dann noch gegen Geflüchtete auf.
Gespart werden soll weiterhin in fast allen Bereichen der sorgenden Arbeit – von der Krankenversorgung hin bis zur Pflege. Begründet wird das unter dem Deckmantel der „Entbürokratisierung“, wobei zugleich beispielsweise bei der Pflege mit dem Ausbau der häuslichen Pflege wieder das patriarchale Familien- und Rollenbild der AfD zum Tragen kommt.
Höhere Renten, weniger Ausgaben
In der Sozialpolitik ist die Frage nach einer auskömmlichen Rente immer wieder heiß umstritten: Das aktuelle Rentensystem steht durch die demografische Alterung unserer Gesellschaft perspektivisch vor dem Kollaps. In ihrem jüngsten Wahlprogramm konkretisiert die AfD ihre Rentenforderungen nun im Vergleich zu vorher weiter und verspricht, die Renten zu erhöhen.
Nach obiger Logik will sie dies einerseits dadurch erreichen, dass mehr Menschen in die schlechtest bezahlten Jobs gezwungen werden – und dann ja auch in die Rentenkasse einzahlen. Darüber hinaus sollen verschiedene weitere Maßnahmen dazu beitragen: so solle z.B. die Verbeamtung und die damit einhergehende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung stark eingeschränkt werden.
Interessant: die beste und fairste Möglichkeit, mehr Beitragszahler:innen für die gesetzliche Rente zu gewinnen, wäre doch eigentlich, sie für alle verpflichtend zu machen – ganz besonders für Reiche und Unternehmer:innen! Bisher gilt nämlich eine Grenze von 7.550€, ab der die Privatversicherung möglich ist. An dieser Stelle wäre das wirkliche Geld zu holen, darüber sprechen die AfD (und die anderen Parteien) jedoch nicht.
Zudem sollen die Beiträge zur Rentenversicherung generell erhöht werden. Dies würde allerdings zu Lasten des Netto-Lohns der Arbeiter:innen gehen!
Auch will die AfD ein „Baby-Willkommensdarlehen“ einführen: Dabei sollen Eltern bei der Geburt des ersten Kindes eine Rückzahlung bereits entrichteter Rentenbeiträge in Höhe von 10.000 Euro erhalten, bzw. von zukünftigen Beiträgen in entsprechender Höhe freigestellt werden. – Ein weiterer Bestandteil ihrer Familienpolitik, welche die bürgerliche Kleinfamilie und ihre patriarchale Rollenverteilung weiter festigen soll.
Insgesamt zeigt sich: Die AfD gibt sich zwar einen sozialen Anschein, will jedoch tatsächlich bei der Rente vor allem innerhalb der Klasse der Werktätigen umverteilen, zugleich Arbeitsanreize für Renter:innen einführen und somit tatsächlicher Altersarmut nur durch eine weitere Flexibilisierung und noch mehr Arbeit begegnen.
Die dann noch bestehende Lücke in der Rentenkasse solle durch den Staat ausgeglichen werden. Parallel plant die AfD jedoch, die Mehrbelastung der Arbeiter:innen aufgrund höherer Rentenbeiträge durch niedrigere Steuern – übrigens auch für Unternehmen – auszugleichen. Das bedeutet jedoch, dass dem Staat weniger Geld im Haushalt zur Verfügung stehen würde, das folglich an anderer Stelle eingespart werden muss.
Mehr Ausgaben, weniger Steuern?
Während bei Sozialem gekürzt wird, sieht es bei dem Thema „Repression” anders aus: für die innere wie äußere „Sicherheit“, für die Polizei, Bundeswehr und Co. sieht die AfD mehr Befugnisse und vor allem mehr Geld vor.
Zugleich soll die Einkommenssteuer gesenkt werden. Davon profitieren zwar erst einmal alle, doch: je höher das Einkommen, umso höher die prozentuale Steuerersparnis. Verbunden wird dies bei der AfD noch in gleichem Atemzug mit massiven Entlastungen für die Reichen und Super-Reichen: so sollen Grundsteuer, Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer komplett abgeschafft werden.
Ausgeglichen werden soll das Ganze einerseits durch ein „Freilegen der wahren Kosten der Asylpolitik“. Hinter dieser Formulierung steckt vor allem rassistische Hetze, die unterstellt, dass die Kosten und Belastung durch Migration nach Deutschland Hauptverursacher des sozialen Kahlschlags seien. Solche Formulierungen haben keinerlei wissenschaftliche Grundlage und muten schon fast verschwörungstheoretisch an.
Der AfD dienen sie als einfaches, wie haltloses Mittel, Steuersenkungen einerseits und ein Mehr an Ausgaben andererseits wirtschaftspolitisch unter einen Hut zu bekommen. Wie in diesem Bereich weiter vorgegangen werden soll, beschreibt die AfD – allerdings an anderer Stelle – unmissverständlich: Aufrüstung an den Außengrenzen, Massenabschiebungen und eine Aussetzung des Rechts auf Asyl.
Welche wirtschaftliche Orientierung?
In ihrer Wirtschaftspolitik bezieht sich die AfD sehr stark auf den bürgerlichen Propagandabegriff des „Mittelstands“. Sie versucht damit, Kapitalist:innen ebenso anzusprechen wie das klassische Kleinbürger:innentum aus Handwerker:innen, Bäuer:innen, Selbstständigen und Beamt:innen. Aber sie zielt auch immer stärker auf Akademiker:innen, gut bezahlte Angestellte, Manager:innen oder Teile der Arbeiter:innenklasse, die bislang von der Sozialpartnerschaft am meisten profitiert und einen hohen Lebensstandard erreicht haben.
Im Zuge der Zuspitzung der kapitalistischen Krise kommen nun immer häufiger „kleinere“ Kapitalist:innen unter die Räder von Konkurrenz und Profitzwang und kämpfen um ihre Existenz. Die aktuelle Krisenpolitik des kapitalistischen deutschen Staats zielt unterdessen vor allem auf die in Deutschland bestimmende und auf den Warenexport angewiesene Schwerindustrie. Diese soll durch die Erschließung und Sicherung weiterer Märkte, bspw. im Rahmen des Mercosur-Abkommens oder hoher Subventionierung vor allem bei der Energieversorgung durch die Krise gebracht werden. Auch ist die aktuelle deutsche Wirtschaftspolitik auf den EU-Binnenmarkt als Absatzmarkt (der im Vergleich zu Deutschland teilweise niedrigere Produktionskosten bietet) und die EU selbst zur Durchsetzung eigener Interessen in der globalen Konkurrenz angewiesen.
Kleinere Kapitalist:innen, die vor allem für den deutschen Markt produziert haben, profitieren von den Subventionen kaum und leiden unter der Konkurrenz in der EU. Gleichzeitig konnten sie den Wegfall des Handels mit Russland und steigende Energiekosten im Zuge des Ukraine-Kriegs kaum oder gar nicht mehr ausgleichen.
Speziell diese Unternehmen werden umso stärker von der AfD und ihrem Protektionismus des deutschen Markts und die Ablehnung der EU angesprochen und würden überproportional von geringeren Steuern oder der Abschaffung der Grundsteuer profitieren. Mit Forderungen nach einer Rückkehr der Kohle- und Atomkraft und damit wieder geringerer Energiekosten spricht sie noch weitere Teile der Kapitalist:innen an.
Im Wesentlichen bleibt die AfD also ihrer bisherigen politischen Linie aus vergangenen Wahlprogrammen treu, spitzt sie jedoch immer weiter zu. Ihre Sozialpolitik ist dabei Ausdruck einer immer weiteren Verschärfung kapitalistischer Ausbeutung: mehr Arbeit, mehr Flexibilisierung, mehr Konkurrenz – bei gleichzeitig weniger sozialer Absicherung, verbunden mit Kürzungen. Hinzu kommt eine Verfestigung von traditioneller Kleinfamilie und patriarchaler Rollen- und Geschlechterbilder in ihrer Familienpolitik.
Schon längst ist die AfD zu einem breiten Sammelbecken von rechtskonservativen bis hin zu verschwörungstheoretischen und offen faschistischen Kräften geworden. Letztere sind in ihr längst tonangebend, die AfD hat sich als parlamentarischer Arm dieser Bewegung etabliert und drängt selbst immer stärker auch auf die Straße.
Kleinbürgerliche Massenbasis
Die Alternative für Deutschland ist seit ihrer Entstehung eine Partei, die ihre Massenbasis vor allem im Kleinbürger:innentum hat. Im Zuge der kapitalistischen Krise, steigender Konkurrenz und der Tendenz zur weiteren Monopolbildung werden diese Schichten aufgerieben und müssen um ihre Existenz kämpfen – das sorgt für stärkere Radikalisierung. Auch historisch waren diese Teile der Bevölkerung die zentrale und massenhafte Basis für den Faschismus.
Ein Blick in die offiziellen Parteispenden der AfD aus dem Jahr 2021 stützt das: Namentlich erwähnt werden dort ein selbstständiger Planungsingenieur, ein Zahnarzt und ein Rechtsanwalt, außerdem ein mittelständisches IT-Unternehmen. Im Jahr 2018 waren namentliche Spender:innen neben wenigen anderen vor allem Mandatsträger:innen der AfD und stellen einen guten Querschnitt dar: mehrere selbstständige Rechtsanwälte, Manager:innen oder Unternehmensberater:innen, Immobilienunternehmer:innen, Geschäftsführer:innen aus der Baubranche, in Handwerksbetrieben, bei Zulieferern usw..
Streben nach Größerem
Aktuell sieht sich die in Deutschland bestimmende und auf den weltweiten Exportmarkt angewiesene Schwer-, Auto- und Maschinenbauindustrie von der AfD noch nicht durchweg repräsentiert. Teile von ihr leiden zwar unter dem Wegfall des Markts und billiger Energie aus Russland, jedoch überwiegt die Anbindung an den Machtblock rund um die USA und die EU klar.
Diese Teile des Kapitals sind auf einen Zustrom von Arbeitskräften aus dem Ausland angewiesen und benötigen gleichzeitig den Zugriff auf ausländische Märkte und Ressourcen. Insbesondere die EU als Binnenmarkt ist in ihrem Interesse – einerseits wegen der Produktionsstätten in anderen Ländern mit niedrigerem Lohnniveau, sowie zur Wahrung und Durchsetzung deutscher Interessen in Europa. Andererseits stärkt die EU den deutschen Großkapitalist:innen in der globalen Konkurrenz den Rücken.
Das zeigen sowohl deren Parteispenden an SPD, FDP und CDU / CSU als auch prominente öffentliche Erklärungen wie vom Monopolunternehmen auf Schrauben und Dübel Würth Deutschland oder des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) als unmittelbare Interessensvertretung dieser Industrie.
Gleichzeitig sind gerade diese Industriezweige von der aktuellen Krise am schärfsten betroffen, kämpfen mit hohen Energiepreisen, ausländischer Konkurrenz und sinkenden Absatzzahlen. Die AfD hat dabei das Potential, im Zuge weiterer Verschärfungen auch bei diesen Kaptalfraktionen an Boden zu gewinnen. Historisch ist sie vom ehemaligen Chef des BDI, Hans-Olaf Henkel, mit aufgebaut worden. Zudem findet sie bereits jetzt Unterstützung in Teilen der Monopol-Bourgeoisie, wie etwa die Spenden-Affairen um den Immobilien-Millardär Conle und den verstorbenen Mövenpick-Milliardär von Finck oder die Freundschaft von Alice Weidel mit Milch-Milliardär Theo Müller zeigen.
Insbesondere mit ihrer verstärkten Ausbeutung und Unterdrückung nach Innen bringt sich die AfD in Stellung. Den Sprung zur Herrschaftsoption wird die AfD jedoch nur schaffen, wenn dies für die deutschen Kapitalist:innen notwendig wird.
Auch ein „Wandlung“ wäre möglich. Ein solcher Wandel lässt sich – angepasst auf die dortigen Bedingungen – derzeit in Italien unter Giorgia Meloni beobachten: An die Macht gekommen war sie mit einer klaren Anti-EU Haltung, hat diese jedoch mittlerweile abgelegt. Während sie nach Innen eine zur AfD vergleichbare Politik durchsetzt, agiert sie außenpolitisch eher pragmatisch und opportun im Sinne der aktuellen Interessen des italienischen Kapitals.