Mit diesen Aktionen, die sich oftmals als Kundgebungen und Demonstrationen mit Pyrotechnik und Feuerwerk formieren, wollen die Versammelten die staatliche Repression in Gestalt von Gefängnismauern und den tristen Alltag hinter Gitter symbolisch durchbrechen. Sie zeigen den weggesperrten Mitstreiter:innen, dass sie nicht vergessen sind und es draußen Menschen gibt, die ihre Kämpfe weiterführen.
Diese besondere Form der politischen Betätigung reicht jahrzehntelang zurück und hat ihren Ursprung in den Knastspaziergängen in Stuttgart-Stammheim, als sich am Silvesterabend 1989 erstmals Sympathisanten der Roten Armee Fraktion (RAF) vor den Gefängnismauern versammelten, um ihre anhaltenden Solidarität zu demonstrieren. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die letzten RAF-Häftlinge im Hungerstreik. Seither finden solche öffentlichen Solidaritätsbekundungen alljährlich an Silvester auch an vielen anderen Knästen in ganz Deutschland statt.
Der legendäre Offenburger Knastspaziergang
Für den 28. Dezember 2022 um kurz vor Mitternacht verabredeten sich etwa 40 Personen für einen Knastspaziergang an der Offenburger JVA. Dort war zu diesem Zeitpunkt der militante Antifaschist Jo inhaftiert.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte Jo im Oktober 2021 nach einem rund sechsmonatigem Prozess zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Ihm war vorgeworfenen worden, im Mai 2020 bei einer Kundgebung der sogenannten „Querdenken“-Bewegung in Stuttgart zusammen mit anderen Militanten drei Faschisten der rechtsextremistischen Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ angegriffen zu haben.
Die 40 vermummten Personen brannten Pyro-Technik ab und sprühten die Parolen „Free Jo“ und „Gegenmacht aufbauen“ sowie Hammer und Sichel an die Außenmauer, dutzende Farbkugeln schlugen auf und über der Mauer auf. Die Aktion dauerte kaum länger als fünf Minuten.
Die Gruppe flüchtete anschließend in mehreren Fahrzeugen auf der Bundestraße 33 in Richtung Kinzigtal.
Das JVA-Personal, dass das ganze Geschehen offenbar über eine Überwachungskamera mitverfolgt hat, rief die Polizei. In einem massiven Einsatz leiteten die Beamten innerhalb kürzester Zeit eine Großfahndung ein, es eilte Unterstützung aus Freiburg und Konstanz sowie von den Kolleg:innen der Bundespolizei herbei. Übereifrige Streifenbullen lieferten sich Verfolgungsjagden, bremsten willkürlich Autos aus, ließen die Strecke stundenlang sperren, zwangen Autoinsassen mit gezogenen Waffen aus den Autos und fixierten einige in Handschellen bäuchlings auf dem Asphalt.
Diese überzogene Reaktion der Bullen auf das bisschen Farbe auf dem Beton und dem bescheidenen Feuerwerk macht deutlich: Der Staat sah sich mit dieser Aktion an einer empfindlichen Stelle getroffen – sein Knastsystem muss unantastbar scheinen und schon symbolischer Widerstand dagegen unerbittlich verfolgt.
Staatliche Repression
Alle Betroffenen der Maßnahme kamen zwar noch im Laufe der Nacht wieder auf freien Fuß. Jedoch leitete die Bullen in der Folge Ermittlungen wegen Landfriedensbruch, gemeinschädlichen Sachbeschädigung sowie Verstöße gegen das Versammlungsgesetz gegen uns ein.
Eine Aktivistin wurde im März 2024 vor dem Amtsgericht Offenburg wegen der Teilnahme an der Aktion wegen „gemeinschaftlicher Sachbeschädigung in Mittäterschaft“ zu 90 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Über die Hintergründe hat sie mit „Radio Dreyeckland“ gesprochen: „Im Gerichtssaal steht man auf zwei Seiten der Barrikade. Man ist im Haus des Gegners, und die Richterin lässt das einen spüren.“
Das repressive Vorgehen des Staates habe nichts mit der Farbe an der Knastmauer zu tun, sondern sei ein Ausdruck für den Versuch, antifaschistische Kollektive zu kriminalisieren, um solche selbstbestimmten Aktionen zu unterbinden. „Man hat von Beginn an sehr deutlich gemerkt, dass da ein politischer Wille dahinter steht. Dass es in der Verhandlung nicht um die Sachsbeschädigung geht, sondern um die Kriminalisierung von Solidaritätsarbeit.“
Als Engagierte in einem radikalen politischen Zusammenhang komme es darauf an, „Gerichtsprozesse zu lernen“, d.h. zu verstehen, „welche Mittel der Gegner benutzt“, und daraus Schlüsse ziehen zu können.Sie konnte während der Verhandlung auf die Unterstützung von Genos:innen im Gerichtssaal zählen.
Jo sitzt dort stellvertretend für alle Antifaschist:innen und Revolutionär:innen, die den Kampf gegen Nazis ernst nehmen und sich dabei nicht vom staatlichen Gewaltmonopol die Wahl der Mittel diktieren lassen. Dass der Staat immer vehementer, auch mit hohen Haftstrafen gegen linke und revolutionäre Straßenaktivitäten vorgeht, ist gerade in der sich zuspitzenden kapitalistischen Krise kein Zufall: Wenn die Klassenwidersprüche spürbarer aufbrechen und die bürgerliche Politik mit ihrem Krisenmanagement immer größere Teile der Bevölkerung, vor allem der Arbeiter:innenklasse verprellt, hat die Sicherung des bürgerlichen Gewaltmonopols hohe Priorität. Durch Haftstrafen sollen Antifaschist:innen und Revolutionär:innen für ihre legitimen politischen Aktionen nicht nur kriminalisiert, sondern insbesondere von ihren Freund:innen, Genoss:innen und der Außenwelt isoliert werden, um sie aus der aktiven politischen Arbeit und der Bewegung herauszubrechen und sie in die Vereinzelung und zur Resignation zu zwingen. Kämpferische Solidaritätsaktionen, die den Knast zum Aktionsfeld machen, wirken dem entgegen, bestärken die Inhaftierten in ihrem Tun und zeigen ihnen, dass eine ganze Bewegung hinter ihnen steht!