Wer gegen Faschismus kämpft, gerät ins Visier des Staates: Der Fall Maja T.

Fast 80 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reiches sind Faschisten in weiten Teilen Europas wieder auf dem Vormarsch – und der Staat schaut zu.

Polizei und Justiz versagen nicht nur bei der Verfolgung und Zerschlagung von rechtsextremistischen Gruppierungen. Sie lassen zu, dass sich deren Strukturen fortlaufend professionalisieren und der Einzug in Regierungsverantwortung entweder vorbereitet wird oder schon vollzogen ist. Die Staatsgewalt überzieht darüber hinaus militante Antifaschisten, die den Kampf gegen offen in nationalsozialistischer Tradition agierenden Verbünden in die eigene Hand nehmen, mit beispiellosen, international koordinierten Repressionen. Der hochgepriesene demokratischen Rechtsstaat wird ausgehölt. Die Geschichte lehrt: Im Kampf gegen den Faschismus ist auf Polizei und Staat kein Verlass.

Deutsche Polizei- und Verfolgungsbehörden brüsten sich gerne mit ihrer angeblichen liberalen Rechtsstaatlichkeit und Verfassungstreue, doch umgehen sie die eigene rechtsstaatliche Fassade, wenn es darum geht, im Rahmen von europaweiten Fahndungen Akteuren aus der linken, antifaschistischen Bewegung nachzujagen und sie an diktatorische Regime auszuliefern.

Am 28. Juni 2024 wird die 23-jährige Antifaschistin Maja T. in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Dresdner Knast ins Ausland verschleppt, zuerst per Heliopter nach Österreich, dann weiter nach Ungarn. Im ungarischen Knast ist sie menschenrechtswidrigen Haftbedingungen und, als nonbinäre Person in einem offen queerfeindlichen Land, Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat in der Vergangenheit eine Vielzahl an queerfeindlichen Gesetzen erlassen. Seine Regierung wurde mehrmals von der Europäischen Union wegen unzureichendem Schutz für LGBTQ-Personen verklagt.

Was wird Maja vorgeworfen?

Weil sie sich als militante Antifaschistin dem alljährlichen Aufmarsch von rechtsextremistischen und faschistischen Gruppen in Ungarns Hauptstadt Budapest entgegengestellt hat, wird Maja aufgrund eines europäischen Haftbefehls im Dezember letzten Jahres festgenommen und eingesperrt. Ihr wird vorgeworfen, im Februar 2023 mit weiteren Personen aus der autonomen Szene Teilnehmer des Nazi-Aufmarschs anlässich des „Tag der Ehre“ in Budapest angegriffen zu haben. Der Vorwurf lautet Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und gefährliche Körperverletzung.

Hintergrund: Der „Tag der Ehre“ in Budapest
Der „Tag der Ehre“ ist eine jährlich stattfindende Veranstaltung in Ungarns Hauptstadt, die von rechtsextremistischen und neonazistischen Gruppen begangen wird. Sie huldigen den nationalsozialistischer Besatzern, ihren ungarischen Kollaborateuren sowie der Schlacht um Budapest, also dem Kampf zwischen deutschen und ungarischen Truppen gegen die sowjetische Rote Armee in der Endphase des Zweiten Weltkriegs, bei der etwa 150.000 Menschen ums Leben kamen. Aus ganz Europa reisen jedes JahrAntifas an, um den Nazis die Stirn zu bieten.

Am Abend zuvor, dem 27. Juni, hatte das Berliner Kammergericht (KG) die Auslieferung von Maja gebilligt. Einer Intervention des Bundesverfassungsgerichts, das eine Auslieferung im Eilverfahren untersagte, kamen die Behörden zuvor, in dem sie Maja eilig nach Österreicht schafften. Maja befand sich zum Zeitpunkt des Gerichtsentscheid also schon im Ausland, die Entscheidung aus Karlsruhe lief also ins Leere. Die speziellen Umstände der Auslieferung sprechen eine deutliche Sprache: Die Behörden haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu verhindern, dass Maja und ihre Anwälte mit rechtstaatlichen Mitteln, die ihnen laut Verfassung bedingungslos zustehen, gegen diese Entscheidung vorgehen.

Die Rädchen des deutschen Repressionssystems liefen an jenem Tag wie geschmiert. Der Auslieferung ging ein eng koordiniertes Vorgehen von Berliner Generalstaatsanwaltschaft, LKA Sachsen und insbesondere SoKo LinX voraus. Wissentlich und absichtlich missachteten deutsche Behörden Majas Grundrechte mit dem Ziel, jegliche Möglichkeit der juristischen Verteidigung, d.h. einer Verfassungsbeschwerde und damit die Chance auf eine Verhinderung der Auslieferung sowie spontane solidarische Reaktionen aus der antifaschistischen Szene zu verhindern.

Chronologie der Ereignisse seit Majas Auslieferung am 28. Juni 2024

Laut ihrem Anwalt Sven Richwin sitzt sie ihrer Inhaftierung in Budapest in einer Einzelzelle, die rund um die Uhr videoüberwacht wird. „Alle Befürchtungen sind wahr geworden. Die Unterbringungsrealität in der U-Haft ist schlimmer als in der normalen Haft“, so Richwin, der noch immer keinen Zugang zu seiner Mandantin hat. Es könne mehrere Jahre dauern, bis es zu einem Prozess kommt.

Die Niedertracht der Polizei, Gerichte, Behörden

Als nichtbinäre Person ist Maja im Knastsystem eines queerfeindlichen Landes wie Ungarn brutalen, willkürlichen Repressionen ausgesetzt. Zwar hatte das KG treffend festgestellt, dass „die Politik der aktuellen ungarischen Regierung als gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet werden muss“ und „früher in Ungarn erreichte Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Homosexuellen und Transpersonen in diskriminierender Weise wieder abgebaut wurden.“

Jedoch verweist das Gericht auf angeblich glaubwürdige Zusagen Ungarns, einerseits wirksame Schutzvorkehrungen in Knast sicherzustellen, andererseits die Garantie, dass Maja im Falle einer Verurteilung ihre Haftstrafe in Deutschland verbüßen könne. Daraufhin hatte das Gericht der Auslieferung zugestimmt.

Bei der am 29. Juli seitens der Anwälte von Maja eingereichten Verfassgungsbeschwerde gegen den Auslieferungsbeschluss des Berliner KGs geht es im Kern darum, die von ungarischen Justizministerium zugesagten menschenrechtskonformen Haftbedingungen einzuklagen. Demnach hätte das deutsche Konsulat in Budapest die Möglichkeit, die Haftbedingungen von Maja zu überwachen, was aber laut Richwin nicht geschieht. In besagtem Antrag hatte Maja die Sorge geäußert, dass hinsichtlich mehrerer Haftanstalten in Ungarn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Haftbedingungen gegen Artikel 4 der Europäischen Grundrechtecharta – das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung – verstießen.

In dem am 2. August veröffentlichten Eilbeschluss aus der Nacht der Auslieferung übte das Verfassungsgerichts Kritk am Vorgehen der Behörden. Die Abschiebung nach Ungern komme mit „erheblichen Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes“ einher. Das höchste deutsche Gericht verurteilt das Vorgehen bei der Auslieferung also als nicht verfassungskonform. Maja hätte am Morgen des 28. Juni nicht nach Ungarn abgeschoben werden dürfen.

Doch da hatten Generalstaatsanwaltschaft, LKA und SoKo LinX schon Tatsachen geschaffen.


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