Solidaritätsaktion für Nico nach Haftantritt im Zuge der Stuttgarter Krawallnacht

Der Stuttgarter Antifaschist Nico hat Mitte August in Heimsheim seine dreijährige Haftstrafe angetreten. Die Mannheimer Knastmauer ziert nun solidarische Grüße von verbündeten Antifas. Die Behörden werfen ihm eine führende Beteiligung an der „Stuttgarter Krawallnacht“ 2020 vor. Wir veröffentlichen das Soli-Schreiben und zeichnen die Ereignisse nach.

In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 entlud sich der angestaute Frust über die scharfen Corona-Lockdowns und der Hass von Teilen der Jugend auf die Polizei in Form von Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt. Etwa 500 Jugendliche zogen damals in dynamischen Kleingruppen durch die Straßen, plünderten Geschäfte und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei.

Nach einer langen Reihe von Willkür, rassistischen Kontrollen und niederträchtigen Schikanen lehnten sich die Jugendlichen in dieser Nacht gegen die Polizei auf, warfen mit Steinen und Flaschen auf Polizisten. Ausgangspunkt war eine Drogenkontrolle im Oberen Schlossgarten bei einem 17-Jährigen durch die Polizei. Daraufhin solidarisierten sich 300 Personen und stellten sich gegen die Polizisten.

Die Beamten waren nicht in der Lage, die Situation zu beruhigen, die Innenstadt, vor allem der Schlossplatz und die Einkaufsmeile Königstraße, war in der Hand der Jungendlichen. Erst in den frühen Morgenstunden gegen 4.30 Uhr und unter massivem Kräfteaufgebot von zusätzlichen 280 Beamten aus ganz Baden-Württemberg war die öffentliche Ordnung wiederhergestellt.

Die Bilanz: 25 beschädigte Einsatzfahrzeuge, 41 demolierte und 16 geplünderte Geschäfte, mehrere hunderttausend Euro Schaden und 32 verletzte Polizisten. Noch in der Nacht wurden 25 Personen, die an den Randalen beteiligt gewesen sein sollen, festgenommen.

Die staatlichen Repressionsorgane von Polizei und Staatsanwaltschaft führten im Nachgang beachtliche ermittlungstaktische Verrenkungen vor: In energischem Ermittlungseifer spannen die Ermittlungsbehörden rasch die Idee, die Verantwortung für die Krawalle linken Kräften und Deutschen mit Migrationshintergrund zuzuschieben. Schnell waren vermeintliche Rädelsführer ausgemacht, unter ihnen Nico. Gleichzeitig leugneten sie von Anfang an den politischen Charakter der Aktionen.

Strobl und sein Repressionskommando

Die bereits am 22. Juni eingerichtete Ermittlungsgruppe „Eckensee“ stellt die bislang größte jemals in Baden-Württemberg eingerichtete polizeiliche Sonderkommission dar. Der ganze Stolz des Landesinnenministers: Die Polizei habe sowohl in der Einsatzbewältigung (ist klar!) als auch bei den Ermittlungen gegen 150 Beschuldigte „Herausragendes“ geleistet. „In Summe handelt es sich dabei um rund 125 Jahre Jugend- und Freiheitsstrafen, davon über 50 Jahre ohne Bewährung“, jubelte Thomas Strobl.

Doch damit nicht genug. Am 2. Juli 2020 beschließen auf Initiative Strobls das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart eine „Sicherheitspartnerschaft“. Gemeinsam sollte ein „effektives Maßnahmenpaket“ erarbeitet werden, um das Image des Landes als „eines der sichersten“ bundesweit zu reparieren. Dabei rumgekommen sind vor allem: mehr Videoüberwachung und verstärkte Polizeipräsenz im öffentlichen Raum, intensivierte Kooperation von Repressionsbehörden, erweiterte Ausstattung und Kompetenzen der Polizei.

Strobl verkündet offen, dass es ihm vor allem darauf ankomme, das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen wiederherzustellen. Und am einfachsten erreicht man das, wenn möglichst viele Krawallmacher möglichst hart und möglichst öffentlichkeitswirksam bestraft werden. So auch im Fall Nico. Die wahren Ursachen des Aufstands, nämlich die ungleich verteilten Auswirkungen der Corona-Maßnahmen zulasten der Jungendlichen, die fehlende Berücksichtigung der Anliegen und die Perspektivlosigkeit von Jugendlichen, rassistische Polizeigewalt, bleiben dabei freilich unangetastet.

Offen rassisitische Agenda der Polizei

Am 9. Juli sprach Stuttgarts damaliger Polizeipräsident Franz Lutz auf Antrag der CDU-Fraktion im Gemeinderat über das Vorgehen der Behörden und offenbarte einmal mehr rassistische Motive in der Ermittlungsarbeit der Beamten. Anhand von Stammbaumforschungen in Standesämtern sollte der Migrationshintergrund von Beschuldigten, auch jenen mit deutscher Staatsbürgerschaft, geklärt werden. Experten kritisierten diese Vorgehensweise als gesetzeswidrig. Dies hielt Strobl nicht davon ab, die migrantenfeindliche Debatte in einem Interview mit der Bild-Zeitung weiter anzufachen indem er die Forderung verbreitete, man sollte „es mit Multikulti nicht übertreiben“.

Mit dem Verfahren gegen Nico sollte der revolutionären Jugendbewegung im Raum Stuttgart ein Schlag verpasst werden. Nico selbst sagte dazu: „Es ist egal, ob ich tatsächlich in der Nacht vor Ort war oder nicht, ich hätte es sein sollen“. Damit zeigt er klar, wie er die Proteste politisch einschätzt. Denn wenn die Jugend sich gegen die Umstände hierzulande erhebt, dann sollten wir hinterfragen, wie es in diesem System um sie steht.

Solidarität mit Nico!

Der Mitte 20-Jährige war in der Vergangenheit bereits durch andere antifaschistische Aktionen in Erscheinung getreten. So kämpfte er nach einer Solidaritätsaktion zu den revolutionären Kämpfen im kurdischen Rojava sowie einer antifaschistischen Aktion gegen die Neonazi-Partei „Die Rechte“ mit staatlichen Repressionen.

Seine aktivistische Vergangenheit zeichnet das Bild einer politischen Persönlichkeit mit humanistischem Charakter: ehrlich solidarisch, internationalistisch denkend, an der Seite von Ausgestoßenen und Unterdrückten stehend. Marie, eine Bekannte von Nico, beschreibt ihn als humorvoll und motivierten Menschen „mit Mut, Überzeugung und Freude; einen Revolutionär, bei dem wir aber auch sicher sein können: Keine Repression, keine Strafe und kein Knast wird ihn kleinkriegen.”

Erst in seinem Prozess stellten ihn die Behörden als rücksichtslosen Extremisten dar und wollten damit von den tatsächlichen Missständen ablenken, die den Krawallen zugrunde liegen.

Die Erklärung im Wortlaut

In Solidarität mit unserem Genossen Nico haben wir den Knast in Mannheim mit einer großen Parolen und ein paar Farbflecken verschönert. Der Stuttgarter Antifaschist Nico sitzt seit Kurzem im Knast in Heimsheim.

Er wurde zu einer Haftstrafe von über 3 Jahren verurteilt, weil ihm vorgeworfen wird, an der Stuttgarter Krawallnacht 2020 beteiligt gewesen zu sein. Nach den Ausschreitungen von Jugendlichen, die sich gegen Racial Profiling und Schikane der Bullen wehrten, suchten die Stuttgarter Repressionsbehörden wahnhaft nach Verantwortlichen und verhängten drakonische Strafen. Wie so oft kam die radikale Linke ins Visier der Behörden und es wurde versucht deren Beteiligung und die Steuerung der Krawalle durch Linke zu konstruieren. In diesem Zuge wurde unter anderem Nico verurteilt.

Während die Gefahr durch die AfD und andere Faschisten in Deutschland steigt, rechtsextreme Wahlsiege sich häufen und rechte Gewalt und Hetze sich beängstigend normalisiert, zieht der deutsche Staat die Schlinge gegen die linke und antifaschistische Bewegung immer enger.
Wir spüren das auf der Straße, da bei jeder Kleinigkeit auf Demos von der Polizei gewaltsam eingegriffen, eskaliert und selbstbestimmte Proteste unterbunden werden.

Wir sehen das aber auch vor Gericht und in deutschen Knästen: Jeder absurde Vorwurf wird vor Gericht hart bestraft und immer mehr Genoss:innen landen in deutschen Knästen. Die BRD zeigt ihre Zähne. Nicht gegenüber der faschistischen Gefahr, sondern gegenüber denen, die sich ihr in den Weg stellen.

Wir wissen daher, dass wir uns auf den Staat im Kampf gegen Rechts nicht verlassen können, sondern dass der Staat und seine Bediensteten unsere erklärten Gegner sind.
Wir lassen uns von ihrer Repression nicht brechen und kämpfen weiter für die richtige Sache.

Wir schicken unsere Solidarität und flammenden Grüße an Nico, an Jo, an Hanna und Maja – und an alle anderen Politischen Gefangenen und Untergetauchten.

Die Mauern mögen uns trennen, doch unsere Kämpfe verbinden uns! Ihr werdet nicht vergessen.

Free All Antifas! Hass der Klassenjustiz!‘


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